Isabel Zwyssig: "Meine Behinderung ist mit ein Grund dafür, dass ich Teilzeit arbeite"

Isabel Zwyssig.

AA

gebürtige Urnerin, lebt mit einer cerebralen Bewegungsbehinderung heute im Raum Muttenz, arbeitet Teilzeit in der Kommunikation

"Ich habe eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt und ein Studium abgeschlossen. Meine Einschränkungen sind zum Glück nur leicht. Ich hinke zwar ein wenig und trage jetzt eine Schiene, die mir hilft, sicherer zu gehen. Diese Merkmale machen meine Andersartigkeit für die Leute sichtbar. Aber es gibt auch Probleme, die man von aussen nicht unbedingt wahrnimmt - wie etwa meine neurogene Blasen- und Darmfunktionsstörung. Sie ist eine Begleiterscheinung der Cerebralparese.

Um ehrlich zu sein, bereiten mir diese Dinge im Alltag fast mehr Schwierigkeiten als die Tatsache, dass ich mich nicht so schnell fortbewegen kann und auf den Beinen oft unsicher bin. Fakt ist aber auch, dass ich mich sehr gerne bewege. Regelmässig gehe ich spazieren und schwimmen. Was ich tue, macht mir Freude - da ist es für mich überhaupt nicht schlimm, dass ich beispielsweise nicht wirklich rennen kann. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich angefangen habe, für die Vereinigung Cerebral Schweiz zu schreiben, hatte ich nie etwas mit Behindertenorganisationen zu tun. Auch mit Menschen, die ähnliche oder andere Einschränkungen haben wie ich, hatte ich nie Kontakt. Ich war es mir von Anfang an gewohnt, immer um ganz "normale" Menschen herum zu sein, die laufen, so weit sie wollen, springen, Velo- und Skifahren. Die eine interessante Ausbildung machen und in ihren Berufen etwas erreichen wollen. Und die ihre Freizeit geniessen - beim Wandern oder im Theater.

Meine Behinderung war für mich nie ein Grund, mich selbst vor ihnen herabzuwürdigen. Ich bin genauso Mensch wie sie, mit Fähigkeiten und Handicaps, wie sie jeder hat. Eine hat blonde Haare, der andere fällt professionell Bäume, der nächste schreibt packend, ein anderer hat seine liebe Mühe damit, und ich hinke halt. Behinderung ist für mich eine besondere Ausdrucksform dieser natürlichen Vielfalt. Aber sicher kein Freipass dafür, Betroffenen weniger Rechte auf gesellschaftliche Teilhabe zu gewähren. Auch ich musste mich immer beweisen. Vor meinen Eltern und Lehrern habe ich gekämpft wie eine Löwin, dass ich ins Gymi durfte. Den verlangten Notendurchschnitt hatte ich damals erreicht - sie hatten trotzdem Angst, dass ich es nicht schaffe. Zu anstrengend sei es, ich würde "verheizt", ein so zartes Mädchen wie ich könne sich doch nicht wehren, befürchteten sie. Letztlich habe ich meine Ziele erreicht. Aber es war tatsächlich oft ein sehr steiniger Weg. Meine Behinderung ist mit ein Grund dafür, dass ich Teilzeit arbeite. Physiotherapien und Arzttermine brauchen schliesslich Zeit. Und ja, ich bin langsamer. Vor allem in unserer Welt, wo der Schnellste der Beste ist, weil er am meisten leistet und dafür wenig Zeit braucht. Zeit ist Geld.

Trotzdem glaube ich, dass es für Menschen mit Einschränkungen jeglicher Art bedeutend ist, sich selbstverständlich unter die ganz grosse Masse der Normalos zu mischen. Darin können sie aufgehen und Teil des gesellschaftlichen Kuchens werden. Ich glaube, das ist der Schlüssel zu meinem Erfolg: Ich habe mich immer ganz natürlich unter den Menschen bewegt, habe Dinge mit meinen Geschwistern unternommen und nach langer Zeit auch Freunde gefunden. Mit ihrer Hilfe bewältige ich meinen Alltag und all die Dinge, die ich alleine aufgrund der Behinderung nicht könnte. Mittlerweile sehen die anderen sie gar nicht mehr. Ich bin einfach Isabel, und das ist gut so. Und wenn es mal soweit kommt, dass ich sie an meine Andersartigkeit erinnern muss, weil ich vielleicht müde bin, während sie noch auf tausend Berge rennen mögen, melde ich mich halt. Dafür darf man sich dann auch nicht zu schade sein.

Zu den Mini-Assistenzen, um die ich im Alltag froh bin, gehören beispielsweise:

  • Zu Hause richte ich mich so ein, dass ich meine Sachen nicht von hohen Schränken oder Regalen herab greifen muss. Dies, weil die Spastik meinen linken Arm schräg nach innen zieht, so dass ich den Arm nicht nach oben strecken kann. Mit rechts geht das zwar. Dinge nur mit einer Hand zu greifen und mich gleichzeitig auszubalancieren, ist allerdings schwierig.
  • Dinge die Treppe rauf und runter tragen müssen andere für mich (mein Freund, Eltern, Mitbewohnerinnen, Geschwister). Meine Hände und Arme brauche ich, um mich zu stabilisieren und festzuhalten.
  • Putzarbeiten: In Fällen, wo man Hände und Arme nach oben strecken muss und Kraft braucht, benötige ich Hilfe.
  • Das gleiche gilt für Situationen, wo man irgendwo hochsteigen muss. Das kann ich nicht.
  • In unebenem Gelände bin ich immer sehr froh um die Hand meines Freundes. Allgemein bewege ich mich mit ihm viel sicherer fort als alleine. Im Alltag ist er mir nicht nur im übertragenen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes eine unentbehrliche Hilfe.

Ich wünsche mir, dass das für alle gelten würde, und dass es Behindertenorganisationen irgendwann nicht mehr braucht.

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